Bild: David Signer

David Signer über den Wandel im Journalismus

David Signer ist Auslandkorrespondent für die NZZ. Er lebt in Chicago und ist zuständig für Kanada und die USA. Im Journalismus ist er bereits seit 20 Jahren tätig und hat miterlebt, wie sich das Berufsfeld verändert hat. In «let’s talk journalism» erzählt er, weshalb Fake News nicht nur mit mangelnder Medienkompetenz zu tun haben und wieso gute Journalist: innen neugierig sein müssen.

Wie sind Sie zum Journalismus gekommen?

Nach der Matura habe ich ein Volontariat beim St. Galler Tagblatt gemacht und danach als freier Journalist für verschiedene Medien gearbeitet. Das war eigentlich mein Einstieg in den Journalismus. Danach habe ich Ethnologie studiert und bin in die Forschung gegangen. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, bis zur Pensionierung in diesem universitären Umfeld zu arbeiten, weshalb ich mich wieder anderweitig orientiert habe. Ich fing dann an, für «Das Magazin» zu schreiben, was mir sehr viel Spass machte und auf ein gutes Echo stiess. Später bekam ich ein Angebot bei der Weltwoche. So bin ich nach einer langen Pause wieder in den Journalismus eingestiegen.

Lange habe ich ähnliche Themen wie auf verschiedenen Feldforschungen, die ich als Ethnologe unternahm, behandelt. Zum Beispiel Afrika und Migration. Für mich war der Berufswechsel nicht so ein radikaler Bruch, weil ich oft auf Reportagereisen in die Karibik, nach Afrika oder Asien gegangen bin. Ich war eigentlich immer happy im Journalismus.

Wie hat sich der Journalismus verändert über die Jahre?

Beim St. Galler Tagblatt war ich in den 80er-Jahren tätig. Natürlich gab es grosse technische Veränderungen – früher habe ich zum Beispiel mit der Schreibmaschine geschrieben, die Fotograf: innen haben ihre Fotos in einer Dunkelkammer entwickelt. Die Recherchearbeit war vor dem Internet viel komplizierter. Da musste man zum Beispiel frühere Zeitungsartikel aus dem Archiv heraussuchen oder ist in die Bibliothek gegangen und hat in einem Buch eine bestimmte Stelle herausgesucht. Das war sehr zeitaufwändig.

Für die Zeitungen war die Umstellung auf Online schon schwierig. Viele Medien sind dadurch in finanzielle Schieflage geraten, weil niemand mehr für Informationen bezahlen wollte. Das hat sich aber wieder etwas stabilisiert. Online-Abos sind billiger als Print-Abos und die Leute sind auch bereit, Geld für Informationen auszugeben, hinter denen eine gewisse Arbeit steckt. Zumindest bei der NZZ, für Boulevardmedien ist es vermutlich schwieriger, die Leute zum Bezahlen zu bringen.

Durch das Internet und die sozialen Medien können heute alle Menschen journalistisch sein und Informationen publizieren. Wie finden Sie das?

Generell hat das Internet zu einer Dezentralisierung der Information geführt. Es gibt keine Gatekeeper mehr, die darüber wachen, was an die Öffentlichkeit gelangt und was nicht. Das hat zu einer grösseren Meinungs- und Medienvielfalt geführt, was wiederum demokratischer ist. Es werden aber höhere Ansprüche an die User: innen gestellt, denn es ist schwieriger zu unterscheiden, was stimmt und was nicht. Da braucht es trotzdem noch die grösseren Medienhäuser, die eine gewisse Selektion vornehmen.

Die NZZ zum Beispiel nutzt natürlich das Internet auch für eigene Zwecke, indem sie Inhalte «vertwittert», multipliziert und breiter zugänglich macht. Ausserdem ist die Kommunikation nicht mehr eingleisig. Leser: innen werden mit Kommentarfunktionen und unmittelbaren Reaktionen eingebunden, wodurch ein Dialog entsteht. Das finde ich alles super.

Es gibt keine Gatekeeper mehr, die darüber wachen, was an die Öffentlichkeit gelangt und was nicht.

Wie gehen Sie mit Fake News um? Gab es diese früher auch schon, oder sind sie Phänomen des Internets?

Das ist für uns Journalist: innen nicht immer einfach. Manche News kann man sofort als Nonsens entlarven, bei anderen muss man doch länger recherchieren. Das gab es allerdings früher mit den Boulevard-Medien schon. Zum Beispiel wurden im «Blick» manchmal auch Informationen publiziert, die völlig an den Haaren herbeigezogen waren.

Was mir bei meinen 19-jährigen Zwillingen auffällt, ist, dass sie Nachrichten etablierter Medienhäuser und News, die irgendwer gepostet hat, als gleichwertig ansehen. Manchmal erkenne ich sofort, dass da eine Verschwörungstheorie dahintersteckt, wenn sie mir von etwas erzählen, das sie im Internet gelesen haben. Ich denke, ihnen fehlt das Sensorium und die Erfahrung, das unterscheiden zu können.

Hat das mit mangelnder Medienkompetenz zu tun?

Viele Leute haben ein grundsätzliches Misstrauen gegen die sogenannten Mainstream-Medien und vertrauen irgendwelchen Informationen, von denen man nicht recht weiss, woher sie kommen, mehr. Das hat man gerade mit Corona deutlich gesehen. Wahrscheinlich hat das schon mit Medienkompetenz, aber auch mit weitergehenden sozialen, politischen oder psychologischen Gründen zu tun. Ich denke, da reicht ein bisschen Unterricht in Medienkompetenz nicht.

Hier in den USA ist das aber noch viel schlimmer – vor allem im rechten Spektrum. Das liegt zum Teil an einem generellen Bildungsmangel, aber auch an einer gewissen Politikverdrossenheit und dem Gefühl, von der Elite abgehängt zu sein. Da stecken also sehr komplexe Gründe dahinter.

Ich denke, da reicht ein bisschen Unterricht in Medienkompetenz nicht.

In welche Richtung entwickelt sich der Journalismus?

Was ich schade finde ist, dass viele Journalist: innen nur noch mit dem Internet arbeiten, weil man dort natürlich so viel Informationen findet. In Neuseeland passiert etwas, und ein paar Minuten später finde ich das im Netz. Nur noch Wenige gehen nach draussen auf Reportage, schauen sich Dinge vor Ort an oder führen Interviews. Es gibt nicht mehr viele Medienhäuser, die sich Korrespondent: innen wie mich leisten, weil das teuer ist. Es besteht ein wenig die Gefahr, dass alles sehr zirkulär wird. Man schaut, was andere geschrieben haben und nimmt das auf, spielt das in die sozialen Medien. So wird alles selbstreferenziell und dreht sich im Kreis.

Gleichzeitig habe ich das Gefühl, auch eine Gegenbewegung zu beobachten. Das Interesse an Dokumentarfilmen und Reportagen steigt. Beispielsweise das Magazin «Reportagen» oder das Magazin «Mare». Es ist spannend, wie erfolgreich die sind. Das sind aufwändige Geschichten, wo jemand in ein Gebiet reist, länger dort ist und etwas studiert. Vielleicht ist das die Gegenbewegung auf all diese Secondhand-News: Das Bedürfnis nach authentischer Berichterstattung, wo das Publikum richtig in etwas eintauchen kann.

In meinem Umfeld merke ich, dass viele Leute aus meiner Generation kulturpessimistisch sind und das Gefühl haben, alles werde sehr oberflächlich und beliebig. Diese Meinung teile ich nicht. Nur schon Wikipedia, das ist doch super. Früher hätte ich dafür das 20-bändige Brockhaus-Lexikon gebraucht, um irgendetwas nachzuschauen, und nach ein paar Jahren ist das schon wieder veraltet gewesen. Die Aufklärung hat eigentlich auch zugenommen. Wenn man will, kann man sich viel schneller über die ganze Welt kundig machen.

Was ist für Sie guter Journalismus?

Das Wichtigste ist, dass ein Journalist oder eine Journalistin primär eine neugierige Haltung pflegt und kein gefestigtes Weltbild oder politisches Programm hat, wo man auf jede Frage bereits eine Antwort weiss. Man sollte immer wieder zumindest so tun, als wüsste man nichts und bei null anfangen, möglichst vorurteilsfrei an die Dinge und Leute herangehen, genau hinsehen und zuhören, gerade dort, wo es einem nicht so in den eigenen Kram passt. Das ist auch eine gewisse ethische Dimension im Journalismus – dass man nicht alles durch die gleiche, vorgefasste Brille ansieht.

Schon beim Recherchieren sollte man sich auch mit Meinungen und Perspektiven befassen, die einem selbst nicht entsprechen. Und man darf die Leserschaft nicht von etwas überzeugen wollen, sondern sollte einen Gegenstand lediglich von verschiedenen Seiten beleuchten. Wenn diese neugierige Haltung echt ist, wenn es einem gelingt, selbst etwas spannend und interessant zu finden, muss man das nicht künstlich aufpeppen und unterhaltsam machen. Das Interesse wird sich auf die Leserschaft übertragen, die Leute neugierig machen und in den Bann ziehen.

Dieses Interesse ist etwas, das man nicht spielen kann. Entweder ist man jemand, der sich immer wieder für ein neues Thema begeistern kann, oder nicht, aber dann sollte man nicht in den Journalismus gehen.

Man sollte immer wieder zumindest so tun, als wüsste man nichts und bei null anfangen.

Welche Informationsquellen nutzen Sie ausser den Reportage-Magazinen noch gerne?

Ich lese halt aus beruflichen Gründen vor allem die grossen Zeitungen wie die New York Times, die Washington Post oder das Wallstreet Journal. Je nach Thema oder Recherche auch öfters mal etwas im Netz. Aber mit kleineren Nischen-Angeboten kenne ich mich leider wenig aus.