Bild: Lilian Naegeli & Nicolas Doebelin, Collage: Hannah Ambass

Lilly und Nico über Social Media, Fake News & Co.

Lilian und Nicolas schliessen demnächst ihren Bachelor in Multimedia Production ab. Sie haben sich für die Vertiefungsrichtung Journalismus entschieden und sprechen in «let’s talk journalism» als frisch ausgebildete Expert:innen über die Probleme mit Social Media (Bubbles), Fake News und unser Mediennutzungsverhalten im Allgemeinen.

Ihr habt euch im Studium für die Vertiefung in Journalismus entschieden. Was habt ihr da gemacht und gelernt?

Nico: Wir haben über zwei Semester hinweg das Format «vierseitig» entwickelt. Das ist ein Magazin, welches wir mit Artikeln, Videos und Audiobeiträgen befüllt haben. Wir hatten auch viele Inputs zum Schreiben und allgemein zum Journalismus von verschiedenen Leuten, zum Beispiel vom SRF. Es war sehr praxisorientiert, was mir super gefallen hat.

Was war das Konzept hinter «vierseitig»?

Lilly: Vierseitig zeichnet sich dadurch aus, dass wir Themen behandelt haben, die uns persönlich betroffen haben und die von vier Seiten beleuchtet wurden. Es gab die Formate «Tief», «Persönlich», «Nah» und «Extrem». Im «Tief» wurden Themen mit Tiefgang behandelt, im «Persönlich» haben wir von unseren persönlichen Erfahrungen damit berichtet, im Format «Nah» haben wir mit Zielpersonen oder Betroffenen gesprochen und im «Extrem» wurden zwei extreme Seiten einander gegenübergestellt oder das Thema von einer extremen Seite beleuchtet.  

Nico: Genau. Wir fanden, dass bestehende Formate entweder mega journalistisch aufgebaut sind, wie zum Beispiel im «Tief», aber dann fehlt ein bisschen der persönliche Aspekt. Wir wollten ein Thema immer von verschiedenen Perspektiven beleuchten.

Habt ihr ein Beispiel?

Nico: Lilly und ich haben uns mit sexuell übertragbaren Geschlechtskrankheiten befasst. Im «Tief» haben wir die Facts & Figures zusammengetragen, wie sich die Zahlen entwickeln und so weiter. Im «Persönlich» habe ich meinen Bezug zum Thema aufgegriffen. Im «Nah» hatten wir drei Pärchen aus drei verschiedenen Generationen, mit denen wir ein Quiz gemacht haben. Daraus entstand ein lustiges, lockeres Video. Und im «Extrem» haben wir unseren Recherche-Prozess dokumentiert, weil wir da auf einige Schwierigkeiten mit Ämtern gestossen sind. 

Wie steht es aus eurer Sicht um die Qualität im Journalismus - auch auf Social Media?

Lilly: Ich glaube es ist ein Problem, dass wir uns so an den Gratiskonsum von Medien gewöhnt haben. Das macht die Medien kaputt und wir kriegen «Scheiss» zu lesen. Aber das ist eine grössere Sache.

Nico: Die Qualität hängt glaub ich sehr stark vom Medium ab. Es gibt viel Trash und viele Fake News, die im Umlauf sind, aber auch gute Sachen wie Forward oder Unzipped von SRF. Wenn das neue Mediengesetz einmal in Kraft getreten ist, steigt die Qualität vom Journalismus auf Social Media wahrscheinlich, weil dann auch Online-Medien subventioniert werden.

Mehr gute Formate auf Social Media könnten Fake News und sonstigem Trash vielleicht etwas entgegenwirken, indem sie einen Teil des Platzes einnehmen würden, der momentan durch die vielen Leute, die irgendwelche Sachen behaupten, belegt ist. Das wäre für die Demokratie extrem wichtig. Ich hoffe, das ist nicht zu utopisch gedacht.

Mehr gute Formate könnten Fake News und sonstigem Trash vielleicht etwas entgegenwirken.

- Nico

Lilly: Was in der Schweiz auch ein Problem ist, ist, dass wir quasi nur das SRF haben. Und das kommt nicht so recht an uns ran, weil es so gstabig ist. In Deutschland ist das anders. Da gibt es zum Beispiel das Funk-Netzwerk, was auch von vielen jungen Leuten in der Schweiz genutzt wird.

Über Funk

Das Funk-Netzwerk ist das Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Gemeinsam mit Content Creator:innen soll ein Publikum zwischen 14 und 29 Jahren erreicht werden, vertreten ist das Netzwerk auf allen gängigen Plattformen wie Instagram, Youtube & Co.

Nico: Das SRF wirkt ein bisschen wie die alte Grossmutter, die versucht cool zu sein. Da liegt auch ein Problem: die Medien passen sich unserem Konsumverhalten zu wenig an. In dieser Hinsicht hinken wir Deutschland gegenüber hinterher, aber das SRF versucht mittlerweile schon mehr.

Generell sollte man das Konsumverhalten genau untersuchen und als Medienhaus mehr darauf reagieren. Da sind wir extrem langsam, was zum Beispiel eben das neue Mediengesetz zeigt, das schon ewig in Planung ist und nicht durchkommt. Es gibt politische Kräfte, die verhindern wollen, dass der Online-Bereich gestärkt wird. Das darf im Jahr 2021 einfach nicht sein, das ist nämlich auch schlecht für die Demokratie. Irgendwann kommt das sicher, aber mit 10 Jahren Verspätung.

Das SRF wirkt ein bisschen wie die alte Grossmutter, die versucht cool zu sein.

- Nico

Ist in der Gesellschaft genügend Medienkompetenz vorhanden?

Nico: Bei den Jungen noch am ehesten, aber generell nicht. Es gibt zum Beispiel viele Indikatoren, die einfach zu erkennen sind und auf Fake News hindeuten. Die kennen ganz viele nicht. Für meine Eltern ist alles, was wie ein News-Artikel aussieht, eine verlässliche Quelle. Ich glaube, das müsste in Schulen noch viel mehr thematisiert und gelehrt werden.

Lilly: Ich stimme dem zwar zu, dass die Jungen vielleicht etwas medienkompetenter sind, weil sie nicht nur mit Fernseher und Zeitung aufgewachsen sind. Ich denke aber, dass ältere Menschen durch ihre Lebenserfahrung mehr wissen und manchmal besser beurteilen können, was stimmt und was gar nicht sein kann.

Es ist sicher so, dass die Kompetenz, sich darauf zu achten, ob ein Beitrag einen Autor/eine Autorin und ein Datum hat, ob man erkennen kann, woher die Informationen kommen oder ob etwas «nur» ein Kommentar ist etc., bei vielen fehlt. Ich glaube aber nicht, dass wir Jungen das so viel besser können. Ausserdem wollen wir auch immer alles schnell konsumieren. Das ist dann auch schnell geteilt und schnell weitererzählt. Ältere Leute nehmen sich da vielleicht noch etwas mehr Zeit.

Das SRF hat in einem Beitrag Tipps zusammengetragen, wie Fake News erkannt werden können:

Tipp 1: Layout/Titel beachten. Bei reisserischen Titeln ist Vorsicht geboten.

Tipp 2: Quelle/Impressum prüfen. Wer steckt hinter einem Beitrag? Sind Autor:innen angegeben? Ist offengelegt, woher Informationen stammen? Gibt es die Leute überhaupt, die zitiert werden?

Tipp 3: URL kontrollieren, wenn ein Beitrag aussieht, als käme er von einem renommierten Medienunternehmen. Webseiten lassen sich relativ einfach kopieren.

Tipp 4: Gibt es andere verlässliche Medien und Quellen, die ebenfalls über die Meldung berichten?

Wie geht ihr persönlich mit Fake News um?

Lilly: Ich werde immer vorsichtig, wenn ich bei einer Nachricht denke: «Krass, oha!» Also, wenn mir etwas sofort ins Auge springt. Das sind so die Sachen, die Aufmerksamkeit und Clicks generieren. Ich muss aber auch sagen, dass ich nicht auf Social Media unterwegs bin und daher (glaube ich) nicht sehr oft mit Fake News konfrontiert bin.

Nico: Ich bin generell, vor allem im Verlauf des Studiums, viel misstrauischer geworden. Ich konsumiere praktisch keine News auf Social Media, es sei denn, es sind Ausschnitte von grösseren News-Plattformen. Ich bin zwar kein grosser Fan von 20 Minuten, lese es aber trotzdem ab und zu. Da achte ich mich darauf, ob Quellen angegeben wurden, ob ich Informationen rückverfolgen kann und ob beide Seiten zu Wort kommen oder nur eine Meinung repräsentiert wird.

Was ich auch wichtig finde: einfach mal selbst recherchieren. Gerade bei Corona, wo irgendwie alle etwas anderes behaupten, mal die Studien lesen, die gemacht wurden und sich nicht alles vorkauen lassen. Man wird wahrscheinlich immer mal reinlaufen, aber ich fühle mich relativ sicher, wenn ich kritisch bleibe. Es gibt auch nicht DAS Medium, das mega gut ist, sondern man muss sich allgemein kritisch mit allem auseinandersetzen.

Man wird wahrscheinlich immer mal reinlaufen, aber ich fühle mich relativ sicher, wenn ich kritisch bleibe.

- Nico

Welche Probleme bringen Social Media Bubbles mit sich?

Nico: Die Leute haben durch diese Bubbles, in die sie wegen den Algorithmen der Social Media Unternehmen rutschen, ganz unterschiedliche Realitätswahrnehmungen bekommen, merken das aber gar nicht. Dadurch schwindet das Verständnis für andere Meinungen. Das hat sich so schnell entwickelt, dass uns das Bewusstsein dafür fehlt. Man merkt das auch in der Politik – die Abstimmungskämpfe werden immer hässlicher und es gibt keine ausgewogene Diskussionskultur mehr. Wir müssen noch lernen, wie wir mit diesen Bubbles umgehen können.

Lilly: Der Mensch befindet sich einfach auch gerne in seiner eigenen Bubble und wird gerne in seiner eigenen Meinung bestätigt. Man sollte halt auch mal etwas lesen, was genau nicht der eigenen Meinung entspricht und hinterfragen, weshalb einem gerade etwas gefällt. Oder einfach mal mit Leuten sprechen!

Man sollte halt auch mal etwas lesen, was genau nicht der eigenen Meinung entspricht und hinterfragen, weshalb einem etwas gefällt.

- Lilly

Wenn jemand von etwas erzählt, das er oder sie gelesen hat, kann man ja mal fragen: Woher hast du das? Schick mir das doch weiter. Man sollte da mehr in den Austausch gehen. Aber es ist manchmal schwierig. Wenn jemand grundsätzlich das Vertrauen in die Medien oder den Staat verloren hat und so tief in der eigenen Bubble steckt, kann man Behauptungen nicht durch Fakten widerlegen, weil es dann nicht um Fakten geht, sondern auf «Glauben» basiert. Es ist viel schwieriger, Fake News zu widerlegen, als sie aufzustellen.

Wie gross ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien?

Lilly: Also in der Schweiz ist das Vertrauen mehrheitlich da. In anderen Ländern ist dieses Problem viel grösser.

Nico: Es gibt aber auch in der Schweiz Bewegungen, die sehr medienkritisch und recht gewachsen sind. Ich glaube das hängt damit zusammen, dass Medien ihre Infos oft von oben herab bringen und denken, dass sie die sind, die alles wissen und uns Unwissenden informieren. Das ist eine arrogante Haltung und geht vielen gegen den Strich. In «vierseitig» wollten wir eben auch diese Authentizität und Transparenz schaffen. Augenhöhe ist auch ein wichtiger Begriff, den wir oft gehört haben. Man sollte die Leser:innen als Gegenüber verstehen. Augenhöhe schafft man, indem man transparent kommuniziert und auch mal sagt, was nicht geklappt hat, wie man gearbeitet hat und woher Informationen kommen.

Was sind eure Lieblingsformate, über die ihr euch informiert?

Lilly: Ich lese wahnsinnig gerne «Das Magazin». Das ist so ein gutes Ding, weil es so vielfältig ist. Die Artikel sind super geschrieben. Es gibt auch Meinungsartikel, mit denen ich nicht immer einverstanden bin, aber das ist ja auch gut so. Wirklich eine tolle Ausgabe. Und sonst finde ich das Online-Angebot vom SRF super. Arte Docs sind auch sehr cool.

Nico: Ich habe angefangen, Podcasts zu hören. Da gibt es, denke ich, noch viel Potential. Es ist heute auch wichtig, dass man sieht, wer einem die News erzählt. Bei «Unzipped» bekommt man Einblicke in die Recherche, was ich super finde. Das schafft Vertrauen in den Journalismus, weil man sieht, dass dahinter auch Menschen stecken und nicht irgendein Roboter vom Staat.